Normal – Eine Besichtigung des Wahns Ein Abend mit Thomas Ebermann, Torsten Mense , Flo Thamer
Auf Bühne und Leinwand besichtigen wir – angemessen polemisch,
satirisch wie analytisch, fragend und kritisierend – den ganz
normalen Wahn und den Wahn der Normalität, das
Pathogene im Normalen, und das Irrationale, das nicht
das Gegenteil des Normalen ist, sondern aus diesem
erwächst.


Pandemie, Klimawandel, Kriege, die Steuererklärung, der Verkehrsstau: Krisen über Krisen, und kein Ende in Sicht. Die einen fliehen in den Verschwörungsglauben oder gleich vollends in den Faschismus. Ob Reichsbürger oder Impfgegner mit Alu-Hut, ob Incels mit ihrem mörderischen Hass auf Frauen oder ganz gewöhnliche Rechte – politisierter kollektiver Wahn, immer auf der Suche nach weltbeherrschenden Drahtziehern.
Die anderen halten am gesunden Menschenverstand fest. Sie verteidigen den Experten gegen den Scharlatan, die Vernunft gegen den Wahn. Sie sind fleißig, halten Nationen und Eigentumsordnung für so natürlich, wie dass der Starke den Schwachen besiegen muss. Sie wissen, dass Kollateralschäden nicht schön sind, aber halten sie für unvermeidbar: Die
Hungernden, die Obdachlosen, die Erfrierenden in jedem Winter, die Ertrunkenen im Mittelmeer.
Ihre Vernunft ist eine instrumentelle – Vernunft im Dienste der Unvernunft. Es geht nur um das Wie und nicht um das Wofür. Alles ist Mittel, um persönlich durch- und voranzukommen und sich und den Laden am Laufen zu halten. Effektivität ersetzt jeden Gedanken an eine menschenfreundliche Einrichtung der Welt. Erlaubt ist selbst im Denken nur, was nützlich ist.
Das Lob der normalen Menschen hat gewaltig Konjunktur. Ob AfD oder Sahra Wagenknecht, ob in Österreich die Freiheitlichen oder Olaf Scholz, sie alle machen Politik, womit die Bild-Zeitung Werbung macht: Gefeiert wird der schlichte, anspruchs- und selbstlose, hart arbeitende Mensch, der von Intellektuellen, Lifestyle-Linken und Eliten verraten wurde. Im Lob der Normalen steckt zugleich Verachtung: Alles soll bleiben wie es ist – und nichts soll sich ändern an der gesellschaftlich beschissenen Stellung der Subalternen.
Wie der normale Mensch steht auch die Normalität hoch im Kurs. So fordern sie längst nicht mehr nur in der AfD: »Deutschland, aber normal« – eine Normalität, die in der guten alten Zeit siedelte und durch Bevölkerungsaustausch, Genderwahn, Schmähung des bewährten Dieselmotors etc. untergegangen sei und also wiederbelebt werden müsse. Aber auch die Normalität, die von Habeck bis Merz als rasch Wiederherzustellende versprochen wird, ist eine trostlose Hoffnung. Denn so wird sakral, was deshalb richtig ist, weil es ist – ohne den Zustand
der Welt und das Leid seiner Opfer kritisch zu hinterfragen. Die »Stimme der Vernunft« lehrt, dass alles Utopische, alles Ausbrechen wollen, sich nicht mit dem Status Quo abfinden wollen, chancenlos und zum schmerzhaften Scheitern verurteilt sei. Aber der Normalzustand, »dass es so weitergeht«, ist die eigentliche Katastrophe.
Auf Bühne und Leinwand besichtigen wir – angemessen polemisch,
satirisch wie analytisch, fragend und kritisierend – den ganz
normalen Wahn und den Wahn der Normalität, das
Pathogene im Normalen, und das Irrationale, das nicht
das Gegenteil des Normalen ist, sondern aus diesem
erwächst. Es wird so witzig, wie Adornos Stahlbäder
lustig sind.